Sybille Essegern


Was ist Landart?

 Landart? Was ist Landart? Diese Frage wurde und wird mir häufig gestellt, wenn ich von meinem Aufenthalt auf Amrum erzähle. Zur Antwort erkläre ich dann aber nicht, was Landart ist, sondern wie man Landart macht: Man geht in die Natur, um Kunst zu machen. Man nimmt nichts mit; kein Material, kein Werkzeug, nichts. Aus den Dingen, die man vor Ort findet, erschafft man ein Kunstwerk. Meistens nutzt man natürliche Materialien, aber es dürfen auch Gegenstände sein, die jemand vielleicht dort verloren hat, oder Müll. Das Werk bleibt dann in der Natur (nur wenn man Müll verwendet hat, wird dieser entsorgt, bevor man geht), man nimmt lediglich ein Foto mit. Das Werk ist dem Wetter ausgesetzt und darf von Menschen, die ihm später begegnen, weitergestaltet und verändert werden. Es ist veränderbar und vergänglich, es ist ein Teil der Umgebung, ein Teil der Natur.

 

 
Ein Sabbatical auf Amrum

Schon seit sehr langer Zeit hatte ich den Wunsch gehegt, mir eine Auszeit zu nehmen und mich eine zeitlang ganz der Landart zu widmen. Mit Landart hatte ich mich schon einige Jahre beschäftigt, seit ich ein Seminar dazu beim Hölderlin e.V. besucht hatte. Im April letzten Jahres war es dann endlich soweit: Ich legte meine Arbeit bei einem Träger der Behindertenhilfe in Hamburg für 10 Wochen nieder und machte mich auf den Weg nach Amrum. Auf dieser Insel, die ich seit meiner Kindheit liebe, wollte ich mich von der Landschaft, von der Natur inspirieren lassen und ohne Zeitdruck und Zwänge an meinen Kunstwerken arbeiten.


Landart bringt Menschen zusammen

Für viele klingt Landart nach einer einsamen Tätigkeit; ein Mensch geht in die Natur, um dort kreativ zu arbeiten. Dabei ist es aber vielmehr so: Landart bringt Menschen miteinander ins Gespräch. Ob es Gespräche mit Menschen sind, denen ich in der Stadt begegne, und denen ich von meiner Arbeit erzähle, oder Menschen, die mich in der Natur treffen, mich beim Arbeiten beobachten, die dann auf mich zugehen und mir Fragen stellen – Landart bringt Menschen zusammen. Das wollte ich während meines Sabbaticals nutzen! So gestaltete ich an zwei Tagen in der Woche ein Angebot für Patient*innen einer Klinik oder im Rahmen einer Ferienbetreuung für Schüler*innen der ersten bis vierten Klasse. Mit diesen Menschen, die zuvor Fremde waren, beim kreativen Arbeiten in der Natur ins Gespräch zu kommen und eine neue Erfahrung zu teilen, war eine Freude, die bis heute nachwirkt. Vor allem aber führt die Zusammenarbeit mit anderen Menschen stets dazu, vom Gewohnten abzuweichen, Dinge mit anderen Augen zu sehen, und vor allem: neue Wege auszuprobieren, und dies im wortwörtlichen wie im übertragenen Sinne.

Auch unabhängig von meiner künstlerischen Arbeit auf Amrum bin ich während meines Aufenthalts auf der Insel den unterschiedlichsten Menschen begegnet. Neue Begegnungen, das Knüpfen neuer Kontakte haben die zehn Wochen ebenso geprägt wie die Einsamkeit und die Momente der Stille, wegen derer ich ja auch gekommen war, denn ich glaube, das der Mensch beides gleichermaßen braucht.
Ich wohnte im Haus Else, wo ich mit anderen Menschen in Kontakt kam, die ebenfalls auf der Insel zu besuch waren, jedoch auch mit solchen, die dauerhaft dort lebten. Ich lernte tolle Menschen kennen, wurde herzlich aufgenommen, konnte großartige Gespräche führen und begegnete immer wieder einem großen Interesse an meiner künstlerischen Arbeit. Ich schloss mich zum Beispiel einer Sportgruppe an und lernte dort eine Frau kennen, die gleich sehr an LandArt interessiert war und mich gern beim Arbeiten am Strand begleiten wollte. Später gab sie dieses Interesse in ihrer Familie weiter.

Es kam sogar hin und wieder vor, dass mir unbekannte Menschen mich ansprachen, weil sie schon von meiner Arbeit gehört und mich erkannt hatten.

Die Begegnungen mit den Menschen auf Amrum waren für mich sehr bereichernd und inspirierend. Einige Kontakte pflege ich noch heute. Im Gegensatz zur LandArt, bei der vergängliche Objekte geschaffen werden, können die Beziehungen, die man hierüber knüpft, also durchaus von Dauer sein.


Vom Glück, offen zu sein für das Überraschende

Neben all diesen Begegnungen zeichnete sich die Zeit auf Amrum für mich vor allem dadurch aus, dass ich ohne jeden Druck, tägliche Termine und tägliche Routine meist in die Tage hineinleben konnte. Ganz frei in den Tag zur starten, in die Natur hinauszugehen, offen zu sein für das, was der Tag bringen mag – das ist in meinem Alltag kaum möglich, und umso mehr habe ich es während meiner Zeit auf Amrum genossen! In gewisser Weise spiegelt sich hier der Grundgedanke von Landart wieder: Ohne konkretes Ziel, ohne Plan loszugehen und offen zu sein für das, was man findet, was einem Begegnet. Für viele Menschen ist das unglaublich schwer, und deshalb ist die Beschäftigung mit Landart umso wertvoller; sie erinnert uns daran, welches Glück uns begegnen kann, wenn wir offen sind für das Überraschende.


Die Schönheit im Vergänglichen finden

Ich machte im Verlauf meines Aufenthalts immer wieder die Erfahrungen, dass Menschen, mit denen ich LandArt gemacht hatte, ihre Werke später wieder aufsuchen wollten, was häufig jedoch nicht gelang; die Gezeiten, Regen, Wind, die Vergänglichkeit der einzelnen Bestandteile führten dazu, dass die Werke im Laufe der Zeit „verschwanden“. Manchmal war es jedoch auch einfach schwierig, sie wiederzufinden, wenn sie von vornherein etwa durch Farbe, Material oder Platzierung so stark in die Umgebung integriert waren, dass man sie leicht übersehen konnte. Für mich macht dies zu einem großen Teil den Reiz von LandArt aus. Es ist von vornherein klar, dass man ein Werk schafft, das vergänglich ist. Die Arbeit darin ist dementsprechend bereits von großer Achtsamkeit für den Moment geprägt. Dies ist heute etwas sehr seltenes, und ich empfinde es als unheimlich befreiend und heilsam.


Was nimmt man mit nach Hause?

Nach zehn Wochen auf Amrum machte ich mich im Juli des letzten Jahres also wieder auf den Weg nach Hamburg, auf den Weg nach Hause. Was nimmt man mit, wenn man nach einer solchen Zeit heimkehrt, zumal zum Konzept der LandArt ja auch gehört, dass nichts mitgenommen wird. All die Objekte, an denen ich während meines Aufenthalts auf der Insel gearbeitet hatte, waren sowieso schon längst nicht mehr da. Die Erinnerungen an die Arbeit in der Natur, an eine Zeit voll Spontaneität und Neugier, an all die wunderbaren Begegnungen mit all den Menschen – die bleiben. Und auch die Wehmut, die Sehnsucht und das Vermissen, wenn ich an Amrum denke, an den Strand und ans Meer, an die Dünen und an die Möwen.


Über die Autorin
Sybille Essegern ist Erzieherin und arbeitet seit vielen Jahren bei Leben mit Behinderung Hamburg. Im Rahmen eines Sabbaticals verbrachte sie 2022 zehn Wochen auf Amrum.